Künstliche Intelligenz als Medizinprodukt - zwischen Innovation und Regulierung
KI-Medizinprodukte stellen als lernende Software nach wie vor regulatorisches Neuland dar.
Wir haben mit Juri Rohde, Head of Q&R bei FUSE-AI über die Chancen und Herausforderungen bei der Zertifizierung gesprochen.
Was sind die Kriterien bei der Zertifizierung von Medizinprodukten?
Medizinprodukte sind Produkte mit medizinischer Zweckbestimmung, die vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt sind. Für die Zertifizierung von Medizinprodukten gibt es im Allgemeinen drei Risikoklassen. Das ist aber nur ein Aspekt. Darüber hinaus müssen bei der Zertifizierung auch die allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen nachgewiesen werden.
Wie läuft eine Zertifizierung ab? Was sind die Schritte?
Der Prozess beginnt mit dem Antrag bei einer Benannten Stelle, z. B. beim TÜV Süd. Zur Zertifizierung muss dann eine umfangreiche Dokumentation vom Produkt über die Entwicklung und Produktion des Produkts eingereicht werden. Ziel ist es, die Reproduzierbarkeit der technischen und klinischen Anforderungen darzustellen und nachzuweisen. Verläuft diese Konformitätsbewertung erfolgreich, erhält das Produkt das CE-Label, das man auch von elektrischen Geräten im Haushalt kennt. Vor der Zulassung findet ein Zertifizierungsaudit statt, im Anschluss dann ein jährliches Überprüfungsaudit.
Gibt es Besonderheiten bei der Zertifizierung von Software bzw. KI-Lösungen als Medizinprodukt?
Künstliche Intelligenz umfasst ein umfangreiches Set an Methoden, Verfahren und Technologien. Kern eines KI-Systems ist ein sogenanntes Modell, das für eine bestimmte Fragestellung modelliert ist - zum Beispiel um bei bestimmten Entscheidungen zu unterstützen oder Vorhersagen zu treffen.
Es gibt sowohl viele verschiedene Arten von Modellen als auch unterschiedliche Techniken dafür, Modelle zu erstellen. Welche zum Einsatz kommen, lässt sich am leichtesten anhand von konkreten Anwendungsfällen, sogenannten Use Cases, erläutern.
Für die Zertifizierung als Medizinprodukt muss das Modelltraining dargestellt werden. Die Bewertung des Modells muss anhand aussagekräftiger abstrakter Messgrößen und Kennzahlen zum klinischen Nutzen (z.B. Verbesserung des klinischen Arbeitsablaufs oder der Gesundheit des Patienten) durchgeführt werden.
Für die Entwicklung bei einer bildgebenden Software ist eine sorgfältige Planung des Sammelns von Daten vor allem in Hinsicht auf die Menge und die Qualität der Daten erforderlich. Bei Softwarelösungen ist es oft eine große Herausforderung, ausreichend gute klinische Daten zu erheben, die für das Training, das Testen und die Validierung der Software genutzt werden können.
Großer Vorteil bei KI- oder Software Lösungen: Nach erfolgter Zertifizierung kann das Produkt sehr schnell auf den Markt gebracht werden, der Prototyp ist zugleich auch das Produkt.
Vor welchen Herausforderungen stehen junge Unternehmen bei der Zertifizierung?
Für Start Ups sind die komplexen Anforderungen bei der Zertifizierung häufig sehr schwer umzusetzen. In der Regel wird das erste Produkt zertifiziert. Es fehlt hier oft an Erfahrung: Wie dokumentieren wir regelkonform? Woran können wir uns orientieren? Die Norm EN IEC 62304 gilt im Allgemeinen für die "stand-alone" Medizinprodukte Software (SaaMD) und schließt KI-basierten Software nicht vollständig mit ein."
Zudem wird ein komplett neues Produkt zertifiziert, das ist wesentlich aufwendiger als bei der Modifizierung eines etablierten Produkts. Junge Unternehmen haben meistens keine eigene Abteilung für den Regulationsprozess, die Entwickler*innen arbeiten also parallel am Produkt und der Zertifizierung. Nicht zuletzt kostet die Zertifizierung Geld, auch das ist für Start Ups eine große Herausforderung.
Wo steht FUSE-AI im Zertifizierungsprozess von Prostate.Carcinoma.ai?
Wir stehen kurz vor der Fertigstellung unserer selbst programmierten Entwicklungsumgebung Artemis - einer Sammlung von Computerprogrammen, mit denen die Aufgaben der Softwareentwicklung möglichst ohne Medienbrüche bearbeitet werden können. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Zertifizierung, da neu programmierte, bisher nicht erprobte Umgebungen im Regulationsprozess besonders genau begutachtet werden. In Kürze wird uns das erste Ensemble – eine Kombination von Modellen – vorliegen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr die Zulassung beantragen können.
Auf dem MedTec Summit 2021 sprach Juri Rohde über die besonderen Anforderungen an KI als Medizinprodukt. Der internationale Kongress MedtecSUMMIT gilt als jährliches Highlight für die Medizintechnik-Branche, auf dem Besucher*innen und Ausstellerfirmen der MedtecLIVE mit namhaften Referent*innen aus Industrie, Wissenschaft und Klinik zusammenkommen.
Den Vortrag von Juri Rohde und weitere Präsentationen und Infos finden Sie hier.
Interessieren Sie sich für KI-Lösungen als Medizinprodukt? Suchen Sie Unterstützung im Zertifizierungsprozess? Dann wenden Sie sich gerne an Juri Rohde unter juri.rohde@fuse-ai.de oder telefonisch unter 040-450316-34